„Gabi (1937 - 1943)" - Lesung Leo Hiemer

„Gabi (1937 - 1943)" - Lesung Leo Hiemer

„Gabi (1937 - 1943) - Geboren im Allgäu - Ermordet in Auschwitz“

Nach Jamshid Khanian 2018 („Siebter Stock West“ - White Ravens Lesefestival) und Robert Domes 2019 („Nebel im August“) stand schon frühzeitig fest, dass auch im Schuljahr 2020/21 eine Lesung an der Berufsschule Ostallgäu stattfinden soll. Die Idee für das neue Projekt entstand bereits im Oktober 2019. Nach dem Besuch der durch den Minister und Schirmherrn Gerd Müller im Rathaussaal von Marktoberdorf eröffneten Ausstellung „Geliebte Gabi“ mit Berufsschülern (siehe Schulmagazin Ausgabe Juli 2020 und www.geliebtegabi.de), bei der Leo Hiemer persönlich die Führung übernahm, war der Kontakt geknüpft und die nächste Lesung initiiert.

Bereits 1994 war Hiemers Film „Leni … muss fort“ entstanden, der die Lebensgeschichte der in Marktoberdorf geborenen Gabriele Schwarz einfühlsam und eindringlich erzählt. Da ihn die Geschichte der kleinen Gabi nicht losließ und er weiterhin alle Fakten sammelte, veröffentlichte er im Mai 2019 sein Buch „Gabi (1937–1943) - Geboren im Allgäu – Ermordet in Auschwitz“, eine Dokumentation über das katholisch getaufte Mädchen, das aufgrund seiner jüdisch-stämmigen Mutter durch die Nationalsozialisten keine Chance auf ein Leben hatte und mit 5 Jahren in Auschwitz vergast wurde.

Den Autor in der Aula der Berufsschule in Präsenz bei einer Veranstaltung lesen zu lassen, war durch Corona unmöglich geworden. So blieb die Frage nach dem Veranstaltungsformat zunächst offen – als Termin war der 20. November, der „Tag des Vorlesens“, festgelegt. Eine Übertragung per Videokonferenz war die Alternative. Doch inwieweit die Technik funktionieren würde, stand selbst nach den Herbstferien Anfang November noch nicht ganz fest. Außerdem bedeutete eine Lesung per Videokonferenz für alle Beteiligten Neuland.

Eine knappe Woche vor dem vereinbarten Termin wurde zunächst mit dem Programm Teams geprobt. Und natürlich arbeitete der Regisseur Hiemer sein „Drehbuch“ für diese 2 Schulstunden aus: Wie hält man die Aufmerksamkeit von SchülerInnen für ein so schwieriges geschichtliches Thema aufrecht? Welche Abwechslung zwischen Erzählen, Lesen, Fragen beantworten … ist sinnvoll? Das Einbinden von kurzen Videoclips auf YouTube stellte eine sehr anschauliche und auf die Altersklasse der SchülerInnen abgestimmte Ergänzung dar (seit Frühjahr 2020 gibt es diese kurzen, vom Autor und Filmemacher Leo Hiemer produziert Videoclips mit Hintergrundinformationen zu Gabi und der Wanderausstellung „Geliebte Gabi”. Sie erklären jeweils verschiedene Hintergründe zu Gabis Person, ihrer Familie und zeigen knapp und verständlich alle wesentlichen Aspekte).

Am 20.11.2020 war es dann so weit. Zwischen den Schülerinnen des ersten Lehrjahres bei den Zahnmedizinischen Fachangestellten und dem Autor und Kenner der regionalen Geschichte fand per Videokonferenz der Austausch statt. Leo Hiemer erzählte zunächst, wie er auf Gabis Lebensgeschichte aufmerksam wurde. Die räumliche Nähe zu Stiefenhofen (dem Heimatort seiner Mutter), wo Gabi bei ihrer Pflegefamilie gelebt hatte, und die Tatsache, dass seine Mutter das Mädchen Gabi selbst noch gekannt hatte, lösten bei ihm Betroffenheit aus, sich intensiv mit der Lebensgeschichte der Fünfjährigen zu beschäftigen.

So entstand sehr abwechslungsreich nach und nach ein Bild der kleinen, geliebten Gabi. Leo Hiemer machte die Vergangenheit und die Motive der verschiedenen Menschen um Gabi sichtbar und zeichnete diejenigen, die ihr Leben beeinflussten, transparent und klar. Er beantwortete Fragen und erklärte Zusammenhänge, nahm Bezug auf lokale Besonderheiten, er ließ einen Teil der Allgäuer Geschichte lebendig werden. Stets war es ihm aber auch wichtig, den Bogen zur Gegenwart zu schlagen. Die Unausweichlichkeit in der Biographie von Gabi wurde durch wichtige, vorgelesene Textstellen des Buches präsent.

Der Bahnhof Auschwitz liegt ein bis zwei Kilometer außerhalb des Lagers Auschwitz-Birkenau. Es ist schon dunkel, als der Zug endlich hält. Die Türen werden aufgerissen. Draußen stehen SS-Männer mit Hunden, Gewehr im Anschlag. Mit Gebrüll werden die Menschen aufgefordert, die Waggons zu verlassen. Die SS-Männer schlagen mit den Gewehrkolben auf die Reisenden ein, um sie anzutreiben und sie zum Schweigen zu bringen. Sofort wird die Selektion durchgeführt: Männer und Frauen mit Kindern werden sofort getrennt. Anschließend werden die älteren Frauen und Frauen mit Kindern aussortiert und mit Lastwagen abtransportiert […]. Während die arbeitsfähigen Männer und Frauen zu Fuß ins Lager marschieren, um für die SS zu arbeiten, werden die anderen auf Lastwagen direkt zum Krematorium II gekarrt, unter ihnen die Kinder aus Berg am Laim und ihre beiden Erzieherinnen. Auch die kleine Gabi.“
(Quelle: Gabi (1937–1943) - Geboren im Allgäu – Ermordet in Auschwitz, S. 306, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.)

Wir sind dankbar, dass Menschen wie Leo Hiemer es uns ermöglichen, unsere Heimatgeschichte kennen zu lernen, durch eine solche Veranstaltung in menschliche Schicksale eintauchen zu können und zu gedenken.

Leo Hiemers Schlussworte brachten es auf den Punkt: „Gabi lebt, solange wir uns an sie erinnern.“

 

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