Lesung von Elmar Bereuter - „Die Schwabenkinder“

Lesung von Elmar Bereuter -  „Die Schwabenkinder“

Nach einer Online-Lesung in Schuljahr 2020/21 (Leo Hiemer „Gabi“) haben wir uns darauf gefreut, unseren Schülern im Schuljahr 2021/22 wieder eine Autorenlesung als Präsenzveranstaltung anbieten zu können. Die Wahl fiel auf einen Titel, der eng mit der Alpenregion, dem Allgäu und Oberschwaben in Verbindung steht und auch gleichzeitig den jugendlichen Auszubildenden einen Einblick in die Lebensverhältnisse und die regionale Geschichte geben sollte: „Die Schwabenkinder“ von Elmar Bereuter.

Für viele junge Menschen ist es heute unvorstellbar, wie arm die Menschen in den Alpen in den letzten Jahrhunderten waren, welche Probleme es gab, die Familie und die Kinder zu ernähren, und wie hart manche Familien durch missliche Umstände getroffen wurden. Viele mussten ihre Kinder für die Sommermonate ins Schwabenland – meist nach Ravensburg in Oberschwaben auf den Kindermarkt  – schicken, damit sie sich dort für ein halbes Jahr bei einem Bauern eine Arbeit suchten und sich verdingten. Seit dem 16.-17. Jahrhundert gab es diese Wanderungen bei Kindern armer Bergbauernfamilien. Die zu Fuß zurückgelegten Strecken waren teilweise bis zu 250 Kilometer lang und führten über schneebedeckte Pässe. Diese Tradition hielt sich bis ins frühe 20. Jahrhundert. „Manche Schwabenkinder wurden zum ersten Mal in ihrem Leben satt“, erklärte uns der Autor, bevor er Auszüge aus seinem Buch las, „aber es gab auch andere, die waren bei richtigen Kinderschindern.“ Aus dem Bregenzerwald, dem Lechtal, dem Inntal, dem Paznauntal, dem Montafon, aus Graubünden, Appenzell, Südtirol kamen die Kinder, teils bereits mit 6 oder 7 Jahren; sie kamen oft nach Oberschwaben, aber auch ins Allgäu zur Arbeit. Der dortige Hauptmarkt war in Kempten.

Elmar Bereuter (*1948), gebürtig aus Lingenau im Bregenzerwald, recherchierte über viele Jahre zum Thema Schwabenkinder. Erst spät wurde er als Schriftsteller aktiv und brachte 2002 sein erstes Buch „Die Schwabenkinder: Die Geschichte des Kaspanaze“ heraus. Später folgten weitere Titel, unter anderem zu den Schwabenkinder-Wegen in Oberschwaben, Vorarlberg, der Schweiz und Lichtenstein (Bergverlag Rother).

Bereits 2003 erschien der gleichnamige Film (in Zusammenarbeit von BR und ORF, mit Tobias Moretti und Vadim Glowna), der den Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste erhielt. Wie Herr Bereuter erzählte, war die Verfilmung des Themas schon beschlossen, bevor er einen Verlag fand, der sein Buch herausbringen wollte.

Wer heutzutage die mit unserer Region verwobene Geschichte nacherleben und nachempfinden möchte, hat vielfältige Möglichkeiten neben Buch und Film: Das Wandern entlang der historischen Routen der Kinder oder auch den Besuch des Bauernhaus-Museums Allgäu-Oberschwaben Wolfegg. In Wolfegg zeigt das Museum als Projektinitiator gemeinsam mit nahezu 30 Projektpartnern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Italien das Schicksal der Schwabenkinder in vielfältiger Form. Es wurde dazu wissenschaftlich geforscht und aufgearbeitet. (Das grenzüberschreitende Projekt wurde durch das Förderprogramm Interreg IV der Europäischen Union gefördert.)

Bei seiner Lesung stellte sich der Autor vor und erklärte, wie und weshalb er begonnen hatte, die Geschichte der Schwabenkinder einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Anhand einer PowerPoint-Präsentation zeigte er meist alte, sehr authentische Bilder, die den Alltag der armen Bergbauern oder historische Stätten und Personen zeigten. Elmar Bereuter wechselte bei seiner Lesung immer wieder ab und gab Hintergrundinformationen verschiedenster Art, beispielsweise zu Begriffen aus der Landwirtschaft (Schotten = Molke, Milchhorner = Milchschlitten). Häufig fielen auch Ausdrücke, die heute nur noch wenig gebräuchlich sind (sekkieren = belästigen, quälen) oder die er den Schülerinnen und Schüler herleitete (Selch); teils fragte er nach den bei ihnen üblichen Dialektausdrücken (Hölzler = Holzschuhe im Bregenzerwald) oder gab weiterführende Informationen zu Bräuchen und Traditionen.

Zunächst lernten wir die Hauptperson Kaspanaze (Kaspar Ignaz) kennen, den ältesten, 8 ½-jährigen  Sohn der Familie Meser, und ihre Lebensumstände: den Alltag des Jungen auf dem landwirtschaftlichen Hof mit 2 Milchkühen und einem Schwein, das für die Geschwister des Vaters jährlich aufgezogen werden musste. Die Erbfolge begünstigte zwar immer den Ältesten; jedoch musste er für die Hofübernahme den Geschwistern jedes Jahr eine finanzielle Unterstützung geben. Üblicherweise geschah dies in Naturalien.
 

Gerade unsere landwirtschaftlichen Schüler:innen konnten sich die Lebensbedingungen gut vorstellen, auch wenn sie mit der heutigen Zeit in keiner Weise mehr vergleichbar sind. Auch die Schüler:innen aus der Berufsfachschule für Ernährung erkannten, wie wenig eine „Milchsuppe“ den Hunger stillen konnte und wie oft die Familie wohl hungrig ins Bett ging und man froh um einen Esser weniger war, der ins Schwabenland zog.

Sehr einprägsam waren die folgenden Beschreibungen bei einem weiteren Kapitel, wie die Kinder über die schneebedeckten Wege ohne richtige Schuhe und mit zu wenig wärmender Kleidung unterwegs waren. Einzelne Szenen – etwa der Abschied von der Familie – ließen die Emotionen der Menschen von damals erahnen, die Elmar Bereuter mit seiner fiktiven Geschichte, orientiert an historischen Fakten und tatsächlichen Einzelschicksalen, lebendig werden ließ.

Nach knapp 2 Schulstunden endete die Lesung mit den Fragen der Schüler. Die Geschichte des 400 Seiten starken Buches war anhand von wichtigen Szenen präsent geworden. Viele Klassen wollten an den nachfolgenden Schultagen auch noch den Film ansehen, der sie ebenfalls sehr beeindruckte.

Wir bedanken uns nochmals sehr herzlich bei Herrn Bereuter, der uns mit seiner Lesung die Geschichte der Schwabenkinder anschaulich miterleben ließ. Ebenso gilt unser Dank dem Förderverein der Berufsschule Ostallgäu und der Stiftung „Bayern liest“, die unseren Schüler die Veranstaltung ermöglichten.


Ein Rezept zum Ausprobieren: „Riebel oder Stopfer

Der Leib- und Magenfüller der Voralberger schlechthin. Was dem Schwaben seine Spätzle, ist dem Voralberger sein Riebel oder Stopfer.

Zutaten: Butterschmalz, 400 g Maisgrieß weiß oder halb Weizen-, halb Maisgrieß, gut 1 Liter Milchwasser (also mit Wasser verdünnte Milch), Salz.

Beim Riebel gibt es verschiedene Zubereitungsarten, hier die 3 gebräuchlichsten.
Erste Art (langsam): Milch, Wasser mit Salz in einer Kasserole zum Kochen bringen, den Maisgrieß einkochen. Einige Stunden auskühlen lassen, in einer großen Bratpfanne Butterschmalz nicht zu heiß werden lassen und den inzwischen fest gewordenen Maisbrei unter oftmaligen Wenden und Zerstoßen braten, ca. 1 Std.
Zweite Art (mittelschnell): Butterschmalz und gesalzenes Milchwasser in eine große Bratpfanne geben. Sobald es kocht, den Maisgrieß einrühren und zugedeckt etwas auskühlen lassen. Pfanne wieder auf den Herd stellen und auf kleinem Feuer langsam braten. Dabei oft wenden und zerstoßen (ca. 40 Minuten).
Dritte Art (schnell): In heißem Butterschmalz Maisgrieß anrösten, mit Milchwasser aufgießen, sodass der Maisgrieß gerade bedeckt ist. Sofort den Deckel daraufgeben und auf kleinste Flamme zurückschalten. Unter oftmaligem Wenden und Zerkleinern fertig braten. Dabei immer wieder etwas Milchwasser dazugießen (ca. 20 Minuten). Der Riebel muss schön locker und bröselig sein. Dazu gibt es Kaffee. Riebel ist aber auch ein ausgiebiges Frühstück oder Abendessen. Kinder lieben ihn mit Zucker bestreut. Gern wird Riebel zum Mittag mit Apfelmus gegessen.

Quelle: Elmar Bereuter, Schwabenkinder-Wege Vorarlberg mit Grenzgebieten Tirol und Liechtenstein, S. 38ff.
(Mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Nähere Infos zu den Schwabenkindern über:
https://www.schwabenkinder.eu/de/schwabenkinder/das-schwabengehen/das-schwabengehen/  http://www.bauernhausmuseum-wolfegg.de/unser_museum/ausstellungen-schwabenkinder.php

Elke Bolg

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